Predigt zu Sacharja 9, 9 am 3. Advent – „Siehe“
Wir wollen uns heute nur mit einem Wort beschäftigen: „Siehe, sehen, seht“.
Das Wort taucht in ganz vielen Bibelstellen auf, zum Beispiel finden wir es in drei Wochensprüchen der Adventszeit:
Am 1. Advent aus Sacharja 9, 9: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“
Am 2. Advent aus Lukas 21, 28.: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“
Und am 3. Advent aus Jesaja 40, 3+10: „Bereitet dem Herrn den Weg, denn siehe der Herr kommt gewaltig.“
Wir finden es auch in der Weihnachtsgeschichte in Lukas 2, 10: „Siehe, ich verkündige euch große Freude.“ Und in Johannes 1, 14: „Wir sahen seine Herrlichkeit.“
Wenn es um unser Sehen geht, gibt es zwei verschiedene Arten:
Wir können oberflächlich mit unseren Augen sehen, was physisch da ist, es wahrnehmen, oder wir können tiefer sehen und wahrnehmen, worum es eigentlich geht.
Wenn sich zum Beispiel zwei in den Arm nehmen, dann kann man entweder nur sehen, dass sich zwei umarmen oder dass sich die beiden mögen, lieben, vertrauen. Oder wenn man einem Menschen ins Gesicht sieht, dann sieht man oberflächlich vielleicht, dass er lächelt, schön aussieht oder nicht, aber wenn man tiefer sieht durch die Augen ins Herz, dann sieht man vielleicht, dass er betrübt und voller Sorgen ist oder voller Freude und Zuversicht. Oder wenn man einen Gottesdienst betrachtet, dann kann man sehen, dass da eine Ansammlung von Menschen zuhört und etwas tut, oder, dass da Menschen sind, die Jesus im Herzen haben und seine Gegenwart feiern.
Es gibt Menschen, die können physisch sehen, aber sind blind, wenn es um das tiefere Sehen geht und andere sind physisch blind, aber sehen tiefer, erkennen das Eigentliche.
Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen:
Ein Mann ging eines Nachts los, um Feuer zu suchen, denn seine Frau hatte gerade ein Kind geboren und sie hatten nichts zum Wärmen. Überall in den Straßen bat er um Feuer, aber es war schon spät und die Leute schliefen, so dass ihn keiner hörte. Schließlich kam er aufs Feld und sah in der Ferne ein Feuerschein. Als er sich näherte sah er einen Hirten an einem Feuer sitzen. Aber da waren bissige Hunde. Sie wollten bellen, aber es war nichts zu hören. Sie stürzten sich auf den Mann, aber sie konnten ihm keinen Schaden zufügen. Nun wollte der Mann weiter gehen, aber die Schafe lagen so dicht, dass er nicht durchkam. Also ging er über die Schafe hinweg und keins der Schafe rührte sich oder machte Lärm. Als er nun auf den Hirten zukam wollte der Hirte ihn abwehren, denn er mochte keine Fremden, und warf seinen Speer nach ihm. Aber der Speer machte kurz vor dem Mann einen Bogen. Als der Mann nun zum Hirten kam und seine Bitte um Feuer vortrug, hätte der am liebsten „Nein“ gesagt, aber nach allem, was geschehen war, traute er sich nicht. Als er sah, dass der Mann keinen Behälter dabeihatte, sagte er: Nimm so viel, wie du tragen kannst und geh. Der Mann nahm mit bloßen Händen die Glut und legte sie in seinen Mantel, und weder die Hände noch der Mantel verbrannten. Als der Hirte das sah wunderte er sich und fragte: „Was kann das für eine Nacht sein, in der Hunde nicht beißen, Schafe nicht erschrecken, die Lanze nicht tötet und das Feuer nicht brennt. Und woher kommt es, dass alle Dinge dir barmherzig sind.“ Da sagte der Mann: „Ich kann es dir nicht sagen, wenn du es nicht selber siehst.“ So ging der Mann zurück zu seiner Frau und brachte ihr das Feuer. Der Hirte aber war neugierig geworden und ging dem Mann nach. Als der Hirte nun das arme, kleine, frierende Kind sah, da wurde sein hartes Herz doch angerührt, und er beschloss, dem Kind zu helfen. Er holte ein Schaffell aus seinem Rucksack und gab es dem Mann für das Kind.
Aber in dem Augenblick, in dem er zeigte, dass auch er barmherzig sein konnte, wurden seine Augen geöffnet, und er sah, was er vorher nicht gesehen hatte: Plötzlich sah er überall Engel, die sangen, musizierten, jubelten und verkündigten, dass in dieser Nacht der Heiland geboren wäre, der die Welt von ihren Sünden erlösen sollte. Da begriff er, warum in dieser Nacht alles so anders war. Und er wurde so froh, dass seine Augen geöffnet worden waren, dass er auf die Knie fiel und Gott dankte.
Was den Mann sehend macht
ist nicht, dass er mit seinem Verstand plötzlich alles versteht oder sein Wille stark genug ist, sondern dass er ein bisschen Barmherzigkeit und Liebe zeigt. Barmherzig sein heißt, mit dem Herzen sehen, was der andere an physischer oder seelischer Armut hat. Es geht nicht um Almosen, denn sie berühren das eigene Herz nicht, sondern um ein Hindurchsehen von Herz zu Herz. Wer sein Herz verbittern lässt durch harte Erfahrungen des Lebens, es verschließt, der wird blind mit dem Herzen. Mit den Augen kann er vielleicht noch sehen, aber im Herzen ist er „tot“. Nur wer sein Herz öffnet, wird sehend und kann so auch wieder Gottes Liebe sehen.
Ich frage Sie: Sehen so viele Menschen und auch wir selbst Gottes Herrlichkeit, Gottes Wunder, Liebe und Barmherzigkeit nicht mehr, weil die Herzen kalt und verschlossen sind, weil in den Herzen keine Liebe und Barmherzigkeit ist?
Genauso ist es mit Weihnachten oder immer, wenn Gott etwas für uns tut.
Sehen wir da nur das Äußere? Ich meine bei dem Äußeren nicht nur Geschenke, Schmuck und Feierlichkeiten, sondern auch ob wir nur das Kind sehen, die Hirten, Engel und was damals passiert ist, oder sehen wir, was dahintersteckt und was es bedeutet, dass Gott unsere Not sieht und hilft, sich nach uns sehnt, weil er uns liebt? Sehen wir Gottes Barmherzigkeit von seinem Herzen zu unserem Herzen?
Erst die Barmherzigkeit und Liebe im eigenen Herzen schließt das Herz auf,
öffnet die Augen für die wesentlichen Dinge des Lebens, öffnet unser Herz für die Barmherzigkeit und Liebe Gottes, für die großen Taten Gottes, dass wir sie im eigenen Leben entdecken, dass wir sie in Jesus sehen und auch Weihnachten entdecken.
Auf Weihnachten vorbereiten, das heißt auch: Barmherzigkeit und Liebe lernen!
Überlegen Sie einmal: Wo gibt es in Ihrer Nähe einen Menschen, dem Sie Barmherzigkeit und Liebe zeigen können, der es braucht? Ich denke dabei nicht an die Fernsehbilder oder Spendenaufrufe, sondern in Ihrer persönlichen Umgebung.
Wir meinen häufig: Wenn wir barmherzig sind und lieben, müssen wir etwas abgeben, verlieren wir. Doch die Wahrheit ist anders: Wenn wir barmherzig sind und lieben, gewinnen wir.
Unser Leben wird dadurch reicher. Aber was noch wichtiger ist: wir werden dadurch sehend. Erst dann werden wir sehend für Gottes Barmherzigkeit und Liebe. Erst dann sehen wir durch alles Vordergründige hindurch Gottes Herrlichkeit, die uns in Jesus entgegenkommt und entdecken Gottes Liebe, Geborgenheit, Hoffnung, Freiheit. Erst dann Lernen wir durch das Äußere hindurch in die Herzen anderer Menschen zu sehen. Und das macht das Leben wirklich reich, füllt uns an und gibt uns ein wirklich glückliches, erfülltes und sinnvolles Leben.