Predigt zu Römer 14, 8-13a am 22. Sonntag nach Trinitatis
8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei. 10 Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. 11 Denn es steht geschrieben: »So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.« 12 So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. 13 Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten.
„Hast Du schon gehört, was da letzte Woche passiert ist:
Wie der sich benommen hat, was er geredet hat, und sein ganzes Auftreten überhaupt? Und der ist auch noch Kirchenvorsteher! Unmöglich so etwas! Was ist das bloß für ein Mensch! Und der will Christ sein.“
Solche Gespräche beim Kaffee, mit Freunden, in der Familie oder am Arbeitsplatz, kennen wir alle. Es ist einfach zu schön, über andere Leute herzuziehen und sie schlecht zu machen. Wenn wir uns mit anderen vergleichen und dabei besser abschneiden, dann tut das einfach unserem Ego und Selbstwertgefühl gut. In Ostfriesland sagten die Menschen manchmal in ihrem eigenen Humor: „Wir sprechen drei Sprachen: „Hochdeutsch Plattdeutsch und über andere Leute.“ Immerhin ist das Dritte eine Weltsprache.
Was ist daran eigentlich so schlimm?
Wir müssen unterscheiden zwischen zwei Arten des Richtens:
Es geht hier nicht darum, dass wir sachlich bestimmte Handlungen und Taten anderer für falsch halten oder um die Wahrheit ringen.
So gibt es zum Beispiel zwischen den Kirchen unterschiedliche Lehren, ethische Vorstellungen und Ordnungen, und jeder glaubt, dass er Recht hat und der andere im Unrecht ist. Es ist wichtig, dass darum gerungen wird und jeder versucht, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Auch in anderen Bereichen, persönlich oder in der Gesellschaft muss diskutiert und gerungen werden. Und dabei kann man die Meinung des anderen als Falsch bezeichnen.
Es geht Paulus darum, dass wir durch unser Reden und Urteilen den Wert des anderen nicht herabwürdigen,
seinen Wert als Mensch oder als Christ. Durch Urteilen und Reden versuchen wir Gleichgesinnte zu finden, „Truppen“ für die Auseinandersetzung zu sammeln, damit der andere schlecht dasteht und wir besser und gewinnen. Das ist das „schöne“ und böse Spiel, das wir so gerne betreiben. Es ist wie eine Krankheit oder Sucht, weil unser Ego nie genug davon bekommen kann. Und wenn wir schon einmal erfahren haben, dass es uns betrifft, dass wir zum Opfer geworden sind, dann merken wir, wie brutal das sein kann, das geht ans Selbstwertgefühl.
In der Gemeinde in Rom war es zu Auseinandersetzungen um die richtige Lebensführung als Christen gekommen,
zum Beispiel in der Frage, ob man das Fleisch von Götzenopfern essen darf oder nicht. Dabei kam es zu Spaltungen und gegenseitigen Verurteilungen.
Man hat sich gegenseitig das Christsein abgesprochen und den Wert als Christ in Frage gestellt.
Dagegen wendet sich Paulus und sagt: Als Christen sollt ihr das nicht tun! Aber seien wir ehrlich! Helfen bei uns oder bei anderen solche Appelle? In der Regel nicht!
Paulus zeigt einen Weg, wie wir davon loskommen,
von dieser „Krankheit“ des Be- und Verurteilens, und dass wir als Täter das Spiel nicht mehr mitmachen und als Opfer darunter nicht mehr leiden müssen.
Er nimmt uns aus der Masse der Menschen heraus, und gehen Sie für sich diesen Weg einmal mit, und stellt jeden einzelnen ganz allein vor Gott.
Nun stehen wir da, jeder für sich alleine vor Gott, und da entdecken wir: Gott ist mein Richter!
Viele zucken zusammen, wenn sie das hören, denn zu oft ist damit Angst gemacht worden, zum Beispiel in der Erziehung. Als Pastor habe ich es manchmal erlebt, dass Eltern zu ihrem Kind sagten: „Jetzt musst du brav sein. Der Pastor ist da!“ Kennen Sie den Witz von „Klein Fritzchen“? „Klein Fritzchen“ kommt in die Schule und wird von der Lehrerin streng gefragt, was er angestellt habe. Aber „Klein Fritzchen antwortet nicht. Die Lehrerin insistiert weiter, aber ohne Erfolg. Schließlich sagt sie: „Klein Fritzchen, vor mir kannst du das verheimlichen, aber Gott sieht alles.“ Daraufhin antwortet „Klein Fritzchen: „Ja, aber er petzt nicht.“
Es geht in der Bibel nicht darum, uns Angst zu machen, sondern sie will deutlich machen, dass wir nicht unsere eigenen Herren sind,
die tun und lassen können, was sie wollen, sondern wir müssen uns vor Gott verantworten, wie wir mit seinem Eigentum umgehen: mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit allem, was er uns anvertraut hat. Wir müssen alle einmal vor dem Richterstuhl Gottes stehen. Und Gott sieht in unser Innerstes. Er sieht auch, was bei uns selbst nicht in Ordnung ist. Da helfen unsere schönen Fassaden nichts mehr, die wir nach außen zeigen. Da helfen auch nicht die Ausreden wie „Das machen alle so“, „so hat man es mir gesagt“, „die anderen haben mich verführt“ oder „die Umstände waren so“.
Am Ende müssen wir alle anerkennen, dass er der Herr ist und die Richtlinien bestimmt.
Wir werde vor Gott gezwungen, ehrlich zu werden vor uns selbst, und Verantwortung zu übernehmen für unser Handeln. Und wenn wir allein vor Gott stehen, brauchen wir uns gegenseitig nichts mehr vorzumachen
Wer aber an Jesus glaubt und zu ihm gehört, der weiß auch: Gott verurteilt mich nicht, sondern sieht mich mit sehr viel Liebe an.
Ich merke, er möchte mir helfen und mich nicht zerstören. Er will mich als Richter nicht fertig machen, sondern zurecht richten, mein Leben in Ordnung bringen.
Wenn ich weiß, Gott ist mein Richter, ich gehöre Jesus, dann gibt das eine große Freiheit.
Es sind nicht die Menschen, die über meinen Wert und mein Handeln urteilen, sondern Gott selbst. Gott gibt mir einen Wert, den mir kein Mensch nehmen kann. Diese Gewissheit macht mich frei von Menschen, von der Angst vor Menschen. Mein Selbstwertgefühl erhalte ich von Gott, nicht von der Anerkennung anderer Menschen.
Wenn wir selbst über den Wert anderer urteilen oder ihren Wert beschädigen, dann machen wir uns zum Gott, zum Herrn über andere und zerstören die Gemeinschaft unter den Christen. Wenn wir unseren Wert vom Urteil anderer Menschen abhängig machen, machen wir sie zum Gott über uns. Beides ist ein Affront, eine Sünde gegen Gott.
Wenn wir uns aber vor Gott stellen, beginnt ein Heilungsprozess,
damit wir nicht mehr so oft zum Täter werden, und damit, wenn wir Opfer werden, es uns immer weniger trifft, weil wir nicht den Menschen, sondern Gott gehören. Und was er über uns sagt, gilt.
Das geschieht nicht auf einmal,
sondern wie bei einer schwierigen Krankheit müssen wir immer wieder zu Gott, unserem „Arzt“. Vielleicht versuchen Sie es einmal,
wenn Sie urteilen möchten oder Sie verurteilt werden, sich so vor Gott zu stellen und daran zu denken: Ich bin nicht der Herr über andere Menschen, über deren Wert ich entscheiden kann. Aber auch über meinen Wert entscheiden nicht ich oder andere Menschen, sondern Gott.