Predigt zu Lukas 9, 57-62 am Sonntag Okuli
Was müssen wir tun, damit mehr Menschen sich mit dem Glauben an Jesus beschäftigen und sich am Leben der Gemeinde beteiligen?
Zu dieser Frage kommen immer sehr viele interessante Vorschläge wie zum Beispiel
interessante Angebote machen, moderne Musik im Gottesdienst, besondere Aktionen für Jugendliche gestalten, bekannte Referenten einladen, spirituelle Erfahrungen zum Auftanken schaffen, und wir müssen mehr zeigen, wie gut wir als Kirche sind: mit netten Menschen, einer schönen Gemeinschaft, einer Atmosphäre zum Wohlfühlen und darauf hinweisen, was wir alles tun im Bereich Diakonie, im politischen Engagement, in der Flüchtlingsarbeit und in anderen Bereichen. Dazu gehört dann natürlich eine entsprechend gute Öffentlichkeitsarbeit nach dem Motto: „Tue Gutes und rede darüber.“
Diese Vorgehensweise ist nicht schlecht.
Sie richtet sich nach modernen Marketingstrategien. Sie geht davon aus, dass Menschen sich von der Kosten-Nutzen Rechnung leiten lassen: Was bekomme ich für das, was ich investiere an Zeit, Geld und Kraft? Was habe ich davon? Nach dieser Leitlinie gehen wir auch vor beim Einkauf von Waren, Urlaubsreisen oder anderen Gütern. Und es gilt meistens auch bei der Frage, ob sich jemand irgendwo engagiert oder nicht. Die Gruppen, die am besten sind, am meisten bieten erhalten den meisten Zulauf.
Für die Kirche heißt das dann: Sie muss so interessante Angebote machen, dass die Menschen das Gefühl haben, sie haben etwas davon, wie zum Beispiel Gemeinschaft, religiöse Befriedigung, Spaß oder Selbstverwirklichung.
Nun wollen wir sehen, was Jesus macht:
Es geht in unserem Abschnitt um drei Personen. Jeder verkörpert eine Grundsicherheit des Menschen, die uns allen ganz wichtig sind: Dazu lesen wir auch Lukas 9, 57-62:
57 Unterwegs sagte jemand zu Jesus: »Ich bin bereit, dir zu folgen, ganz gleich, wohin du gehst!« 58 Jesus antwortete ihm: »Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihr Nest; aber der Menschensohn hat keinen Platz, wo er sich hinlegen und ausruhen kann.« 59 Zu einem anderen sagte Jesus: »Komm, folge mir!« Er aber antwortete: »Herr, erlaube mir, dass ich erst noch hingehe und meinen Vater begrabe.« 60 Jesus sagte zu ihm: »Überlass es den Toten, ihre Toten zu begraben! Du aber geh hin und verkünde, dass Gott jetzt seine Herrschaft aufrichten will!« 61 Ein anderer sagte: »Herr, ich will ja gerne mit dir gehen, aber lass mich erst noch von meiner Familie Abschied nehmen!« 62 Jesus sagte zu ihm: »Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, den kann Gott nicht gebrauchen, wenn er jetzt seine Herrschaft aufrichten will.«
Der Wohnplatz bei der ersten Person steht für die äußeren Bedingungen der Sicherheit, einschließlich der materiellen Sicherheit. Bei der zweiten Person geht es um das gute moralische Verhalten, das einem Menschen in der Gesellschaft Anerkennung verleiht und ihm so die Gewissheit gibt, dass er dazugehört, denn die Beerdigung des Vaters galt als höchstes Gebot bürgerlicher Moral. Die Familie bei der dritten Person steht für die engen menschlichen Beziehungen, in denen wir leben. Auch heute sind Familie und Freunde für viele Menschen das Wichtigste.
Das sind drei Stützen unseres Lebens, die Sicherheit geben, damals und heute.
Vielleicht würden einige heute noch die Gesundheit und Fitness hinzufügen und sagen: Ich will dir ja nachfolgen, aber ich muss zuerst noch zum Arzt, Sport treiben und ins Fitnessstudio. Und Jesus würde antworten: Lass das. Du wirst sowieso nicht ewig leben. Komm und folge mir nach!
Und Jesus sagt den drei Menschen in unserer Geschichte und uns: Wenn dir das wichtiger ist, kannst du mir nicht nachfolgen.
Da möchte man Jesus sagen:
Bist du noch bei Sinnen. So schreckst du die Leute ab. Das ist nicht einladend. So kann man nicht vorgehen. Das ist Antiwerbung und viel zu hoch angesetzt. Man muss niederschwellige Angebote machen, um die Menschen zu gewinnen.
Stellen Sie sich vor, Gemeindeglieder treten an den Kirchenvorstand oder Pastor heran und sagen: Ich habe sehr viel in meiner Familie und bei meiner Arbeit zu tun, aber ich werde es möglich machen, ein paar Stunden pro Woche in der Gemeinde zu helfen. Und die würden antworten: Das macht keinen Sinn. Das geht nur, wenn die Arbeit in der Gemeinde immer Vorrang hat und du alles andere dafür zurückstellst. Wer würde dann noch mitarbeiten in der Gemeinde?
Warum macht Jesus das? Er ist doch nicht dumm. Worum geht es ihm?
Will er nur eine Elite um sich versammeln, die hohe Forderungen erfüllt? Ist er nicht gekommen, um uns Lasten abzunehmen und volles Leben zu geben?
Es geht Jesus nicht darum, Menschen abzuschrecken. Er ist ja gekommen, um Menschen einzuladen. Er will keine unerträglichen Forderungen stellen, sondern er sagt in Matthäus 11, 30: „Meine Last ist leicht.“ Aber er will auch nicht um jeden Preis eine große Menge um sich zu sammeln.
Es geht ihm um den einzelnen Menschen. Er will jeden in die Freiheit des neuen Lebens mit Gott führen.
Jesus macht deutlich: Ob du gebunden bist und woran du gebunden bist, das zeigt sich in Konfliktsituationen, wenn du dich für den ein oder anderen Weg entscheiden musst.
Vor einiger Zeit sah ich den Film „Der neunte Tag“ von Volker Schlöndorff: Henry Kremer, ein katholischer luxemburger Priester bekommt Urlaub aus dem KZ Dachau, weil die Nazis ihn dazu zwingen wollen, die katholische Kirche auf ihre Seite zu ziehen. Er wird vor die Wahl gestellt, entweder mit den Nazis zu kooperieren, so dass er selbst, seine Familie und alle anderen Priester in Freiheit kommen, oder er selbst und seine Familie geraten in Gefahr und die anderen Priester in Dachau werden erschossen. Er hat die Wahl zwischen Verrat an seinen Überzeugungen uns seinem Glauben an Gott und dem Leid anderer Menschen. Entscheiden wird er sich für das, was ihm am wichtigsten ist: seine Familie, die anderen Priester oder seine Verbindung zu Gott. Die Schwere dieser Entscheidung wird in dem Film eindrücklich dargestellt.
Es gibt viele andere Beispiele, in denen Menschen vor ähnlichen Entscheidungen gestellt werden, zum Beispiel bei der Arbeit in einer Firma, wenn „krumme“ Geschäfte entdeckt werden, oder auch in der Politik.
Die Entscheidungen eines jeden Menschen werden immer von dem bestimmt sein, was ihm am wichtigsten ist.
Jesus will uns deutlich machen: Frei, das Richtige zu tun, bist du erst, wenn ich an erster Stelle stehe.
Und die Frage ist, wovon erwarten wir für uns ein erfülltes und sinnvolles Leben und unseren Halt. Das, wovon wir es uns erhoffen, daran sind wir gebunden. Es wird unser Denken, Fühlen und Handeln bestimmen.
Überlegen Sie einmal für sich, wovon Sie für sich ein erfülltes und sinnvolles Leben und ihren Halt erwarten. Daran sind Sie gebunden und das bestimmt Ihr Denken, Fühlen und Handeln und bestimmt Ihre Entscheidungen.
Jesus will uns von allen irdischen Bindungen frei machen, damit wir in der Freiheit der Kinder Gottes leben können:
Er will uns dahin bringen, dass unsere sehnsüchtigen Gefühle und Gedanken nach Glück, Liebe, Geborgenheit und erfülltem Leben unabhängig werden von irdischen Dingen und Menschen.
Von irdischen Dingen sollen wir nicht das Leben erwarten, sondern das wahre Leben, das Jesus uns schenkt, in diese Welt und anderen Menschen geben, wann, wo und wie wir es vom Glauben für richtig halten. Wir sollen nicht mehr tun, was man erwartet, damit wir dann davon etwas für uns zurückbekommen, sondern das tun, was richtig und gut ist vom Glauben her, indem wir bei unserem Tun nicht mehr nach dem Nutzen für uns fragen, sondern danach fragen, was Gott will und darauf vertrauen, dass sein Wille das Beste ist.
Dann kann es bedeuten, dass wir trotzdem materielle Sicherheiten haben, die Sittennormen erfüllen und Eltern beerdigen oder gute Beziehungen haben. Jesus verbietet das nicht.
Aber die Entscheidung wird dann von Jesus gleitet und nicht von anderen Dingen.
Das erscheint im ersten Moment vielleicht hart, aber es ist richtig und gut und befähigt uns erst auch für die irdischen Dinge wie Familie, Gesellschaft, am Arbeitsplatz oder an anderen Stellen das Richtige in Liebe zu tun.
Es erscheint uns vielleicht schwer, weil wir die Größe des Reiches Gottes, was Jesus bedeutet, nicht ganz begreifen, aber es ist so; oder weil wir nicht glauben, dass Jesus größer und wichtiger ist als alles andere, aber es ist so.
Diese innere Freiheit, die Jesus schenkt, macht uns stark als Persönlichkeit.
Sie gibt uns innere Festigkeit auf dem Weg durch das Leben. Sie gibt uns Geradlinigkeit in unserem Tun.
Um diese Freiheit zu erleben, müssen wir den Schritt wagen, den Jesus uns zeigt. Das geht nur, wenn wir die irdischen Dinge von der Priorität her an die zweite Stelle setzen und Jesus an die erste Stelle.
Diese Geschichte steht hier im Evangelium genau an der Stelle, wo Jesus seinen Weg nach Jerusalem, also ans Kreuz, beginnt. Er opfert sein Leben und geht ans Kreuz. Das ist ihm nicht leichtgefallen, aber er hat es für Gott und für uns getan. Er konnte es tun, weil er innerlich frei war. So war er fähig zu dieser Liebe.
Für unser Leben ist es darum zuallererst gut und wichtig, diese Botschaft zu hören, aufzunehmen und zu erfahren und die Freiheit des Glaubens zu entdecken und zu leben. In der Kirche geht es zuallererst darum, diese Botschaft zu erfahren, zu leben und weiterzusagen.
Kirche darf nicht einfach vordergründig attraktiv sein wollen, um dadurch möglichst viele Menschen einzufangen, sich nicht in irdischen Dingen verfangen und zum Beispiel seinen Sinn in politischen Überzeugungen, sozialem Engagement, in Machterhalt oder Reichtum suchen. Dann verliert sie ihre Daseinsberechtigung vor Gott, denn sie orientiert sich dann nicht am Auftrag Jesu, und auch vor Menschen, weil andere das auch tun, und es vielleicht besser tun.